Anthony McCarten: Going Zero

Anthony McCarten credit privat

Eindrucksvoll und atemberaubend: Anthony McCarten zeigt sich mit seinem Roman „Going Zero“ auf der Höhe der Zeit

Den Kampf zwischen David und Goliath verlegt Anthony McCarten in seinem aktuellen Roman „Going Zero“ in die Gegenwart. In die Rolle von David schlüpft die Bibliothekarin Kaitlyn Day, in die Rolle von Goliath der Social-Media-Konzern WorldShare, hinter dem der reiche und mächtige Unternehmer Cy Baxter steckt. Zu WorldShare gehört das Tochterunternehmen Fusion, eine Firma, die als Datenkrake dient, um von allen Menschen ein möglichst genaues Profil erstellen zu können. Fusion lechzt nach einem Milliardendeal mit dem US-Geheimdienst, muss sich vorher jedoch in einem Betatest beweisen. Zehn ausgewählte Menschen haben 30 Tage Zeit, ihre Spuren im Netz und im realen Leben so zu verwischen, dass sie für die Fusion-Mitarbeiter unauffindbar bleiben.

Anthony McCarten zwischen Harrison Ford und Arthur C. Clarke

Going Zero Cover Diogenes Verlag

Das Spiel nennt sich „Going Zero“ und sollte jemand von den zehn Personen innerhalb des vorgegebenen Zeitraums für das Fusion-Team tatsächlich nicht aufzuspüren sein, gewinnt er drei Million Dollar. Fünf der zehn Probanden sind Kenner der Materie, die anderen fünf eher Amateure, darunter besagte Bibliothekarin Katlyn Day. Von Cy Baxter maßlos unterschätzt, erweist sich Day als die widerstandsfähigste und trickreichste der zehn Teilnehmer. Die von Anthony McCarten inszenierte, digital-analoge Verfolgungsjagd erinnert in ihrer Rasanz an den besten Film mit Harrison in Ford in der Hauptrolle, „Auf der Flucht“. Gleichzeitig erhebt der neuseeländische Schriftsteller den philosophisch-gesellschaftlichen Anspruch eines Arthur C. Clarke in „2001 – Odyssee im Weltraum“.

Denn Cy Baxter und seine Freundin Erika wollen im Kern etwas Gutes erreichen. Einst nämlich ist Erikas Bruder und Freund Baxters einem Attentat zum Opfer gefallen. Wäre man in der Lage, potentielle Amokläufer frühzeitig zu erkennen, könnten solcherart Straftaten reduziert, oder gar verhindert werden. So die Argumentation der WorldShare/Fusion-Bosse. Ihre Antagonistin indes fürchtet um die Einschränkung der persönlichen Freiheit und dementsprechend behandelt Anthony McCarten in „Going Zero“ die elementaren Fragen zu den Themen Sicherheit, Freiheit und Technologie.

Essentielle Fragen

Wie weit darf man in die Privatsphäre eindringen, um Verbrechen möglicherweise im Keim zu ersticken? Überwachung versus Libertät und der schmale Grat dazwischen. Wer darf auf sensible persönliche Daten zugreifen und wie werden diese verwertet? Zu welchen Zwecken dürfen neue Technologien eingesetzt werden? Anthony McCarten legt mit diesem großartigen Roman die Finger in die Wunden der schönen neuen Welt der Digitalisierung. Dabei setzt der 1961 geborene Autor, dessen Buch „Funny Girl“ wir bereits im Programm hatten und der sich in Interviews sehr skeptisch gegenüber der Nutzung der KI zeigt, auf thrillerhafte Elemente, ohne sich gänzlich diesem Genre hinzuwenden. McCarten hat mit „Going Zero“ einen eindrucksvollen, herausragenden und atemberaubenden gesellschaftskritischen Roman geschrieben, der uns eine angsteinflößende Realität vor Augen hält. Hatten wir früher als Warnung vor der Zukunft Huxleys „Schöne neue Welt“ oder Orwells „1984“ als Lektüre, so dient „Going Zero“ heute als Mahnmal für die Gegenwart.

Anthony McCarten: „Going Zero“, Diogenes, , aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, Hardcover, 464 Seiten, 978-3-257-07192-4, 25 Euro. (Beitragsbild: Pressefoto, privat)

Kommentar schreiben